Ivette Stern

„Also, mein Sohn Paul hat gestern seine Schuhe verkehrt angezogen und ist so in den Kindergarten spaziert. Als ich ihn gesehen habe, musste ich so lachen. Ist das nicht komisch?“, lacht Herr Popescu aus ganzem Herzen.

„Na ja“, denkt Frau Müller. „DER ist komisch. Wie kann er so über seinen Sohn sprechen?! Und ihn als komisch bezeichnen? Sein Sohn ist doch noch ein Kind. Kinder machen eben Sachen, die für uns als Erwachsene komisch und seltsam erscheinen“.

Sind verkehrt angezogene Schuhe komisch oder doch nicht? Mal ehrlich, es hängt vom Land ab, woher der/die Sprecher:in kommt. Ist er/sie ein/e Deutsche/r, dann kann es „komisch“ oder auch „lustig“ sein, kommt er/sie aus Rumänien, ist es „comic“ („lustig“).

Kulturelle Unterschiede oder sprachliche Differenzen? Ja, oft treiben sie die Sprechenden in einen Engpass, führen zu Unstimmigkeiten und können Missverständnisse schaffen. Was für eine Person komisch ist, ist für eine andere unverständlich und vielleicht auch ein bisschen beleidigend. Da kann nur eines helfen, nämlich die Landeskunde. Oft wird Landeskunde im Unterricht unterbewertet, sie genießt nicht die Aufmerksamkeit, die sie eigentlich verdient, denn sie kann Missverständnisse aufklären und den Alltag in einem fremden Land erleichtern und auch verständlicher machen.

Landeskunde kann schon ab den ersten Unterrichtsstunden eingeführt werden. Zum Beispiel, bei der Vorstellung einer Person. In Deutschland ist es meist üblich, unbekannte Personen zu siezen und mit dem Nachnamen anzusprechen, was in meinem Heimatland (Rumänien) nicht unbedingt der Fall ist. Duzen ist etwas Normales in Rumänien aber kleine Gesten, wie Umarmungen, Händeschütteln gehören in beiden Ländern zum Alltag.

Aus diesem Grund ist es wichtig, die Kursteilnehmenden darauf hinzuweisen, dass man Unbekannte mit „Sie“ ansprechen und erst im Nachhinein fragen sollte, ob man sich duzen könnte. Neue Personen nicht direkt mit „Du“ anzusprechen, denn es kann sein, dass sich die Gesprächspartner beleidigt fühlen.

Auch die so übliche Frage im Restaurant: „Wie möchten Sie zahlen? Zusammen oder getrennt?“ kann für eine/n Rumänen/in irgendwie komisch klingen. In Rumänien ist es normal, dass man sich alles teilt, also auch die Rechnung in einem Restaurant. „Wir sind ja gastfreundlich und wollen alles miteinander teilen. Wie können Deutsche es anders machen?“ Und so entstehen die ersten falschen Vorurteile: Deutsche wollen nichts teilen. Natürlich stimmt das nicht. Und meiner Meinung nach ist es sehr wichtig, den Kursteilnehmenden auch zu erklären, dass es sich in diesem Fall um eine kulturelle Differenz handelt, nicht um einen Charakterzug.

Ich habe mich oft gefragt, warum meine Kursteilnehmenden Deutsch lernen möchten und sie diesbezüglich auch befragt. Es gibt nicht viele unterschiedliche Antworten: entweder möchten sie früher oder später nach Deutschland umziehen und dort studieren, eine Arbeitsstelle suchen oder sie arbeiten für ein deutsches Unternehmen und brauchen Deutsch, um sich mit den Kolleg:innen aus Deutschland auszutauschen, um ihre Ideen, Probleme oder Tipps besser auszudrücken oder an Meetings aktiv teilzunehmen.

Deutsch ist nicht gerade eine Sprache, die für eine/n Rumänen/in leicht zu lernen ist. Rumänisch ist eine lateinische Sprache, während Deutsch eine germanische Sprache ist. Nicht zu reden von der Grammatik oder dem Wortschatz. Deutsch hat einen viel umfangreicheren Wortschatz als Rumänisch. Für einen Begriff gibt es in der deutschen Sprache vielleicht mehrere Varianten und für eine/n Fremdsprachler:in kann es schwierig sein, zu entscheiden, welche von diesen angemessener ist.

Auch in diesem Fall kann Landeskunde eine gute Lösung für den Unterricht darstellen. Zum Beispiel, wenn es um einfache Telefonate geht. In Rumänien antwortet man oft mit einem einfachen „Alo“, während man in Deutschland seinen Namen sagt, zum Beispiel: „Paul, hier“. Man sollte auch darauf hinweisen, dass sich beide Seiten zuerst vorstellen müssen, erst danach kommt die Frage. „Wie kann ich dir / Ihnen helfen?“.

Eine gute und angemessene Struktur hilft den Anrufenden sich problemlos auszudrücken und natürlich, sich mit dem/der Gesprächspartner:in besser zu verstehen.

Am Arbeitsplatz kann Small-Talk viel dazu beitragen, dass man schneller Kontakte knüpft und eine entspannte Atmosphäre schafft. Aber auch hier können viele kulturelle Missverständnisse auftreten. In Rumänien spricht man viel über Gehalt, Geld und Einkommen. „Wie viel verdienst du?“ ist vielleicht die nächste Frage nach „Wie heißt du?“. In Deutschland ist das aber noch immer ein heikles Thema. Man tauscht sich selten über die Höhe des Gehaltes aus.

Es ist wichtig, die Kursteilnehmenden darauf hinzuweisen, welche Themen für ein eventuelles Small-Talk Gespräch angemessen sind und welche nicht. Politik, Religion oder Geschlecht können in dem einen oder anderen Land Konflikte auslösen. Der erste Schritt zu einer optimalen, entspannten und freundlichen Kommunikation mit den Kolleg:innen ist, die Themen zu kennen, die zu Konflikten führen könnten und diese können natürlich von einem Land zum anderen abweichen.

Aber Landeskunde bedeutet nicht nur, über Konflikte oder Regeln zu sprechen. Es ist wichtig auch die Traditionen, Sehenswürdigkeiten und die Attraktionen eines Landes zu kennen. In einer Gruppe, die vielleicht mehr aus jungen Leuten gebildet ist, kann man zum Beispiel ab B1+ Niveau auch eine Unterrichtsstunde zum Thema „Studieren in Deutschland“ gestalten. Und damit sie auch andere Teile aus Deutschland erkunden, kann sich diese Stunde auf Ostdeutschland beziehen. Ostdeutschland ist im Ausland weniger bekannt, obwohl auch diese Region viel zu bieten hat. Weimar, Jena, Magdeburg, Dresden oder Leipzig sind alte und bedeutende Universitäten, über die man leider nicht so viel kennt. Es lohnt sich, diese im Unterricht zu erkunden, die Sehenswürdigkeiten und die Schönheiten dieser Städte und der umliegenden Regionen zu entdecken.

Informationen erkunden macht natürlich hungrig. Und warum nicht, denn Deutschland, Österreich oder die Schweiz haben auch gastronomisch viel zu bieten. Eine Unterrichtsstunde über die kulinarischen Traditionen in den DACH-Ländern könnte sich dazu anbieten. Die Legende des Kaiserschmarrns, der zwar für die Kaiserin Sissi zubereitet wurde, ihr aber nicht schmeckte sondern dem Kaiser Franz Josef, so dass er statt Kaiserinnen- eben Kaiserschmarrn genannt wurde (vgl. https://info.bml.gv.at/themen/lebensmittel/trad-lebensmittel/speisen/kaiserschmarren.html). Auch um die Erfindung des Hamburgers ranken sich verschieden Geschichten (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger) Oder dass das so leckere Rösti, die Spezialität, die aus der Schweiz stammt, auch gleich als Namensgeber für die Grenze zwischen der deutsch- und französischsprachigen Schweiz „dem Röstigraben“ herhalten muss. Es gibt viele interessante Ideen und Geschichten, die man im Kurs einsetzen könnte, um eine andere Seite der DACH-Länder vorzustellen.

Natürlich, wenn wir über Landeskunde sprechen, dürfen die DACH-Feste nicht fehlen. Auch diesbezüglich gibt es einige interessante Fakten. Das Oktoberfest kennen alle, aber wie viele wissen, dass das Oktoberfest eigentlich im September organisiert wird oder dass dieses Fest über 200 Jahre alt ist? Es begann mit einem Pferderennen aus Anlass der Hochzeit von Kronprinz Ludwig mit Therese Charlotte Luise Friederike Amalie von Sachsen-Hildburghausen am 17. Oktober 1810 (vgl. https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Oktoberfest#:~:text=Ursprung%20des%20Oktoberfests%20ist%20ein,(1792%2D1854)%20veranstaltete). Von der Gemahlin des Kronprinzen stammt auch der Name der Wiese, wo das Oktoberfest organisiert wird, nämlich die Theresienwiese.

Und auch die Weihnachtsmärkte sind nicht nur weltweit bekannt, sondern bieten zudem zahlreiche Traditionen. Man sagt, dass der schönste Weihnachtsmarkt in Dresden organisiert wird. Oder war es doch Nürnberg? Oder vielleicht Wien? Vielleicht kann man die Antwort auf diese Frage auch im Unterricht finden, während man die schönsten Weihnachtsmärkte der DACH-Länder erkundet.

Nicht vergessen sollte man auch die deutsche Literatur. Diese umfasst viele Nobelpreisträger und interessante Titel. Ein interessanter Fakt für uns aus Rumänien ist zum Beispiel, dass Herta Müller in der Nähe vom Temeswar geboren wurde und 1987 nach Deutschland ausgewandert ist.

Nicht zuletzt bedeutet Landeskunde, auch etwas über die deutsche Musik zu erfahren. Natürlich kennen viele Kursteilnehmer:innen die Band Rammstein, aber wer weiß, dass Lou Bega, bekannt für seinen Hit „Mambo No. 5“, eigentlich aus München stammt? Oder dass der bekannte deutsche Rocksänger Peter Maffay aus Kronstadt, Rumänien kommt?

Ja, die DACH-Länder haben viel zu bieten, viele interessante Fakten, die dazu beitragen können, dass die Lernenden die deutsche Sprache kommunikativer und interessanter finden. Deutsch ist definitiv nicht nur Grammatik, unzählig viele Substantive, deren Artikel man auswendig lernen muss oder Verben, deren Konjugationen so seltsam klingen. Nein, Deutsch kann auch interessant und vielfältig sein. Und kann wirklich Spaß machen. Aber das bedeutet natürlich, dass man die DACH-Länder besser verstehen muss, dass man ihre Traditionen, Sehenswürdigkeiten und natürlich ihre Kultur so akzeptieren muss, wie sie eben sind.

Kulturelle Differenzen sind Teil eines Landes und machen dieses Land einzigartig.

Biography

Ivette SternIch bin in Temeswar geboren, eine schöne, ruhige und multikulturelle Stadt im Westen von Rumänien. Hier habe ich das deutsche Gymnasium besucht und auch hier habe ich Germanistik studiert.

Mit dem Unterricht begann ich gleich nach dem Studium, als ich für einige Jahre als verbeamtete Lehrkraft tätig war.

Unterrichten ist für mich auch ein Hobby, denn es wird nie langweilig. Immer gibt es neue Herausforderungen, Neues zu lernen.